Patientenombudsmann/-frau
Schleswig-Holstein e. V.
Patienten- und Pflegeberatung in Schleswig-Holstein

Dagmar Danke-Bayer

Pflegeberatung in ganz Schleswig-Holstein
Pflegeombudsfrau Dagmar Danke-Bayer

„LOCKDOWN“

 

Jahresbericht der Ombudsfrau für die Pflege Dagmar Danke-Bayer

 

Nachdem die Anfragen 2020 sich zunächst zahlenmäßig normal entwickelten, brach die Nachfrage mit dem Lockdown vorübergehend vollkommen ein. Nach den ersten Wochen nahmen die Anfragen jedoch verstärkt wieder zu. Der Themenschwerpunkt lag dabei vor allem im Bereich stationärer Pflege.

Es meldeten sich immer wieder Menschen bei mir, die sich nicht damit abfinden wollten, dass sie ihre Angehörigen, die in einem Alten- und Pflegeheim lebten, nicht besuchen konnten, zumal das Osterfest vor der Tür stand. Nicht immer gelang es mir, zu vermitteln, dass wir in einer besonderen Situation leben, die uns allen Opfer abverlangt. Da ich mit verschiedenen Pflegeheimen immer wieder Kontakt habe, erkundigte ich mich daher auch nach der Situation dort. Daher war mir bekannt, dass viele der Heime sich sehr bemühten, ihren Bewohnern trotz der Einschränkungen wegen Covid 19 ein einigermaßen stimmungsvolles Osterfest zu ermöglichen, andererseits aber auch im pflegerischen Bereich an ihre Grenzen stießen und sich zusätzlich mit dem Unverständnis vieler Angehöriger für die Schutzmaßnahmen auseinanderzusetzen hatten. Ich selbst hatte bei mancher Anfrage das Gefühl, dass das eigene Befinden der Anrufer*innen das eigentliche Anliegen war.

Beispielsweise bekam ich den Anruf einer Tochter, die keinerlei Verständnis dafür hatte, dass sie und ihr betagter Vater die demenzkranke Mutter nicht im Heim besuchen durften. Die Mutter erkenne sie und den Vater kaum noch und sie fände es furchtbar und auch ihr Vater leide schrecklich darunter, dass sie die Mutter bzw. Ehefrau nicht besuchen könnten. Außerdem gäbe es eine Patientenverfügung ihrer Mutter, dass sie keinerlei Eingriffe zur Verbesserung ihres Gesundheitszustandes bei einer etwaigen Erkrankung haben wolle. Es sei von der Heimleitung unverantwortlich, ihre Mutter von ihr und ihrem Vater fern zu halten. Meine Hinweise auf einen evtl. schlimmen Krankheitsverlauf, die Verantwortung der Heimleitung für alle Bewohner*innen des Heims, andere Angehörige, die ihre Eltern vielleicht doch eher geschützt und gesund erhalten möchten und die Belastung des Pflegepersonals, wurden ebenso wenig angenommen, wie meine Vorschläge, der Mutter z.B. Fotos von ihren Angehörigen oder kleine Aufmerksamkeiten und Grüße zu schicken oder sich besonders aufmerksam um den Vater zu kümmern. Und so blieb schließlich nur der Hinweis auf das Hausrecht der Heimleitung, das zunächst einmal akzeptiert werden müsse, gegen das sie schließlich rechtlich vorgehen müsste.

Es gab natürlich auch Angehörige, die meine Einwände oder Vorschläge letztlich akzeptieren konnten und sich durch das von mir geäußerte Verständnis für ihre Sorgen und Ängste auch getröstet fühlten und am Ende des Gesprächs äußerten, dass sie zwar eigentlich nach Möglichkeiten gesucht hätten, um zu ihren Angehörigen zu gelangen aber nun andere Möglichkeiten erfahren haben, um für ihre Angehörigen da zu sein.

Meine Erfahrung aus den Gesprächen sowohl mit den Angehörigen als auch mit Pflegenden und Heimleitenden hat mich zu der Schlussfolgerung kommen lassen, dass mit der Forderung nach mehr Freiheit für die Heimbewohner und ihre Angehörigen auf der einen Seite und der gleichzeitigen Forderung nach dem optimalen Schutz der Heimbewohner vor einer Ansteckung, die Heime vollkommen überfordert und allein gelassen wurden.

Es wurde kaum danach gefragt oder darüber berichtet, wie die Heime in ihrem täglichen Ablauf mit dem vorhandenen Personal dies alles bewerkstelligen könnten, bzw. wie ein Heim damit umgehen kann und soll, wenn es zu Infektionen bei den Bewohner*innen oder beim Personal kommt. Ich habe eine Dokumentation dazu im Ersten Programm um 23.30 Uhr! dazu gefunden. Was das betreffende Heim bzw. das Personal in dieser Situation geleistet hat, brachte alle an ihre Grenzen und war tief beeindruckend. Auch gab es da tatsächlich eine Szene in der ein Ehemann und eine Tochter endlich wieder die dementiell erkrankte in einem Heim lebende Ehefrau und Mutter besuchen durften. Der Besuch fand im Freien auf dem Heimgelände statt. Die Heimbewohnerin wurde von einer Pflegekraft begleitet. Nach einer herzlichen Begrüßung und einem kurzen Austausch verlangte die Dame allerdings, von der Pflegerin wieder ins Haus gebracht zu werden. Dieser ca. 10-minütige Besuch hinterließ bei dem Ehemann und der Tochter letztlich große Enttäuschung!

Aber ich denke gerade für dementiell Erkrankte sind in so einer Situation tatsächlich die Pflegenden als ständige Bezugspersonen und die gewohnte Umgebung das Wichtigste, um ihnen Halt und Sicherheit zu geben.

Auch möchte ich hier die Rückmeldung einer Heimleitung erwähnen, die mit einigem Aufwand dafür gesorgt hat, dass alle Angehörigen 14-tägig einen Besuchstermin bekommen konnten, der dann aber leider von ca. 40% nicht wahrgenommen wurde und das obwohl die Angehörigen ortsnah wohnten!

Im weiteren Verlauf des Pandemiegeschehens entwickelte sich ein anderes Thema ebenfalls zu einem Schwerpunkt bei den Anfragen. Hierbei geht es um die Begutachtungen durch den MDK bei Anträgen auf einen Pflegegrad. Diese finden während des Lockdowns abgesehen von einer kurzen Unterbrechung bis heute nicht in Präsenz statt, sondern die Betroffenen erhalten nach der Antragsstellung einen Fragebogen zugeschickt, den sie ausfüllen und an den MDK zurückschicken sollen. Danach erfolgt dann noch ein angekündigtes Telefongespräch der Gutachter*in mit der/dem Betroffenen. Aus den Erkenntnissen, die die Gutachter*in sowohl aus dem Fragebogen als auch aus dem Telefongespräch und evtl. noch anderen Unterlagen, wie z.B. Arztberichten gewinnt, wird dann das Gutachten erstellt.

Leider ist es für etliche dieser häufig sehr alten Menschen schwierig, mit diesem Verfahren umzugehen. Ein Telefonat ist ja zunächst einmal eine eher lapidare Situation gegenüber dem Hausbesuch einer Gutachter*in, auf den sich viele inzwischen doch recht gut vorbereiten und bei dem im Dialog zusammen mit der tatsächlichen Sichtbarkeit bzw. Darstellbarkeit z.B. der körperlichen Fähigkeiten und des Wohnumfeldes, die Gutachter sich in der Regel ein gutes Bild von der Gesamtsituation des betroffenen Menschen machen können. Da die Betroffenen häufig nicht wissen, auf welche Kriterien es genau ankommt, kann allein das Beantworten des Fragebogens für die Antragsteller*innen schon zur Fehlerfalle werden. Telefonieren ist für manchen alten Menschen schon wegen evtl. vorhandener Hörprobleme schwierig und kann daher eher zu Missverständnissen führen. Auch wollen die Betroffenen oft über ihren Zustand der Gutachter*in gegenüber nicht „klagen“ und stellen ihre Situation nicht selten unbewusst besser dar, als sie tatsächlich ist. Selbst die Anwesenheit einer dritten Person wie z.B. der Tochter oder des Sohnes kann bei einem Telefonat anders als bei einem Hausbesuch, die Situation eher noch verwirren, denn für bessere Aufklärung sorgen. Mit der schriftlich gegebenen Aussage, dass sie ihre behandelnden Ärzte gegenüber dem MDK von der Schweigepflicht befreien, glauben viele Betroffene, dass die Gutachter*innen sich automatisch die notwendigen Auskünfte von den Ärzt*innen einholen und dann über z.B. bestehende chronische Leiden und deren Auswirkungen auf das tägliche Leben der Betroffenen informiert werden. Die jeweiligen Gutachter*innen fragen aber keineswegs immer bei den Ärzt*innen nach und erhalten deshalb dann nicht die evtl. für die Einstufung wichtigen Auskünfte, während die Antragsteller*innen darauf vertrauen. Dies alles führt dann schließlich dazu, dass Anträge auf einen Pflegegrad abgelehnt werden oder Pflegebedürftige aus ihrem jahrelang bestehenden Pflegegrad sogar in einen niedrigeren heruntergestuft werden, was bei den Betroffenen, deren Allgemeinzustand sich oft schon allein mit dem zunehmenden Alterungsprozess verschlechtert hat, zu vollkommenen Unverständnis führt.

Ein besonders drastisches Beispiel hierfür war der Fall von Frau O., die schon seit langer Zeit an COPD leidet und Pflegegrad III hatte. Da sie inzwischen nur noch 30 kg wog, vollständig bettlägerig war, ständig mit Sauerstoff versorgt werden musste und der Pflegedienst dreimal am Tag kommen musste, was zuletzt aber nicht mehr ausreichte, beantragte die Tochter für sie die Einstufung in einen höheren Pflegegrad. Nach der Begutachtung kam von der Pflegekasse der Bescheid, dass Frau O. zukünftig nicht höher eingestuft würde, sondern im Gegenteil wegen stattgefundener „Rekonvaleszenz“ auf den Pflegegrad II zurückgestuft werden würde. Dieser Bescheid machte nicht nur Frau O. und ihre Tochter fassungslos, sondern auch den langjährigen Hausarzt. Dieser setzte sich mit mir in Verbindung und es kam durch seine Vermittlung zu einem weiteren ausführlichen Gespräch mit der Tochter von Frau O. Der Hausarzt war sofort bereit, einen Bericht an die Pflegekasse über den allgemeinen Krankheitsverlauf bei einer Diagnose von COPD, sowie den tatsächlichen Gesundheitszustand von Frau O. zu verfassen. Ich riet dann der Tochter, vor weiteren Schritten, die Reaktion der Kasse auf dieses Schreiben abzuwarten.

Falls die Pflegekasse ihren Beschluss nicht korrigieren sollte, wollte sich die Tochter sofort wieder bei mir melden. Da ich nicht wieder von ihr kontaktiert wurde, gehe ich davon aus, dass die Pflegekasse ihre Entscheidung revidiert und dem Antrag auf Erhöhung des Pflegegrades stattgegeben hat.

Auf meine Nachfrage, warum nicht spätestens der/die zuständige Sachbearbeiter/in bei der Pflegekasse auf dieses offensichtlich falsche Ergebnis des Gutachtens aufmerksam geworden sei, erfuhr ich zu meinem Erstaunen, dass Anträge zu Pflegegraden bei manchen Kassen teilweise nur noch durch Computer bearbeitet werden!

Dass Verwaltungsvorgänge inzwischen weitgehend maschinell bearbeitet werden, ist sicher sinnvoll, zumal der Kostendruck im Gesundheitswesen hoch ist. Doch hier geht es um Bescheide, die für die Betroffenen oft eine Entscheidung mit sehr schwerwiegenden Folgen für die zukünftigen Lebensumstände sein können!

 

Veröffentlichung aus dem - Tätigkeitsbericht 2020 - (Seite 15-17) des Vereins.

 
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