Patientenombudsmann/-frau
Schleswig-Holstein e. V.
Patienten- und Pflegeberatung in Schleswig-Holstein

Reinhart Pawelitzki

Patientenberatung in den Bereichen Neumünster, Dithmarschen, Steinburg, Pinneberg mit Helgoland
Patientenombudsmann Reinhart Pawelitzki

Der Schleier der Pandemie

 

Jahresbericht 2020 von Reinhart Pawelitzki

 

Als ich im März 2020 meinen Jahresbericht für 2019 abschloss, begann – ohne dass wir es ahnten – eine Zeit, von der sehr viele Menschen sagten: „So etwas habe ich noch nie erlebt!“ Der Aussage kann ich mich selbst anschließen: Nicht nur über unser Land und nicht nur über Europa, sondern über die ganze Welt legte sich der schreckliche Schleier einer Pandemie. Und noch heute ist diese Bedrohung nicht beendet, die Angst vor der Ansteckung und den Folgen der Seuche hat unsere Lebensweise, unseren Umgang miteinander und unsere gesamte Kommunikation auf den Kopf gestellt.

Abertausende von Menschen starben bisher, das Virus kannte weder Ost noch West, weder politische Ideologien noch religiöse Glaubensrichtungen. Schienen zunächst die älteren Menschen besonders bedroht, so trifft es inzwischen ebenso auch Kinder und alle anderen Altersgruppen.

Inzwischen sind 12 Monate darüber ins Land gegangen, inzwischen hoffen wir auf lebensrettende Impfungen und abnehmende Einschränkungen des täglichen Lebens.

Welche Auswirkungen hatte diese Situation auf unsere Arbeit als Ombudsleute? Man könnte vermuten, die Angst der Menschen ließ die Zahl der Anrufenden steil ansteigen. Patienten suchten nach Rat und hofften auf Trost und Klärung in ihrer verzweifelten, ja zum Teil aussichtlosen gesundheitlichen Lage.

Das Gegenteil trat ein, jedenfalls in den Landkreisen an der Westküste Schleswig-Holsteins, für die ich zuständig bin. Regelmäßig überprüfte ich sogar meine Telefonanlage, um sicherzustellen, dass Anrufe wirklich durchkamen. Ganze 60 Kontakte waren im Jahre 2020 zu verzeichnen, also durchschnittlich einer pro Woche. Eine für mich, bezogen auf die letzten Jahre, höchst ungewöhnliche Situation.

Eine Parallele könnte sein: Der Rückgang der Patientenzahlen wurde ebenfalls von Arztpraxen und Krankenhäusern gemeldet, Patienten trauten sich nicht mehr in medizinische Betreuung aus Angst vor Ansteckung, sogar lebenswichtige Operationen wurden offensichtlich aus diesem Grunde nicht durchgeführt. Deshalb gab es natürlich auch weniger Kritikpunkte bei Behandlungen und Verordnungen, Probleme in Auseinandersetzungen mit Ärzten und Krankenkassen und vermutete Behandlungsfehler. Und so verebbte auch die Zahl der Hilferufe am Ombudstelefon. Bei Anfragen bezüglich Corona waren ganze zwei Anrufer zu zählen.

Natürlich zeigten sich bei den Anruferinnen und Anrufern keine spezifisch anderen Fragen und Bitten als in den vergangenen Jahren. Da die Zahl der Fälle doch vergleichsweise gering war, lässt sich jedoch keine wirkliche Tendenz erkennen.

Immer wieder tauchten die für die Westküste typischen (und zum Teil gerechtfertigten) Beschwerden auf: zu wenige Fachärzte im ländlichen Raum, inzwischen auch zu wenige Hausarztpraxen. Interessant in diesem Zusammenhang sind die Anmerkungen mehrerer Patienten, denen die Zusammenlegung von Einzelpraxen in Gemeinschaftspraxen nicht gefällt: „Dort habe ich jedes Mal mit einem anderen Arzt zu tun.“ Das erinnert stark an die Situation in Krankenhäusern. Obwohl leicht erklärbar, zeigen solche Rückmeldungen, dass das Vertrauen und die Sicherheit von Patienten dadurch eingeschränkt werden. Umso mehr freue ich mich darüber, dass wir mit unserer Arbeit als Patientenombudsleute persönliche Kontakte anbieten können, die auch verlässlich wiederholbar sind. Das Feedback etlicher Anruferinnen und Anrufer bestätigt diesen für unsere Zeit eher ungewöhnlichen Ansatz.

Hier noch einige kleine Beobachtungen im vergangenen Jahr: Da gab es für Kassenpatienten Ungereimtheiten, wenn sie plötzlich von Fachärzten Rechnungen erhalten und nicht bereit sind, diese zu zahlen. Dann handelt es sich üblicherweise um IGeL-Verträge, an deren Unterschrift sie sich nicht erinnern können. Merkwürdig war dabei ein Fall, wo dem Patienten sein Behandlungsvertrag beim Augenarzt erst nach Erhalt der Tropfen zur Pupillenerweiterung zur Unterschrift vorgelegt wurde. Leider werden offensichtlich auch nicht grundsätzlich Kopien des Vertrages an den Patienten ausgegeben. In einem anderen Fall aus einer Augenpraxis lautete der Eingangssatz des Patienten auf meine Frage nach dem Ziel seines Anrufs: „Die Patientenberatung hat mich an sie verwiesen, damit mal Licht ins Dunkel kommt.“

Auffällig ist zunehmend die Zahl der Patienten, die Datenabfragen kritisch gegenüberstehen und gern Unterlagen über ihre OP‘s und Behandlungsabläufe in der Hand hätten. Der Wunsch nach anwaltlicher Beratung ist ebenfalls gestiegen. Genauso sind verstärkt aggressive Gespräche und Mails zu verzeichnen. Beispielhaft dafür war die Drohung: „Ich habe es auf dem legalen Wege versucht. Es gibt ja noch andere Mittel und Wege.“

Zum Schluss dieses relativ kurzen Berichtes noch zwei Kontakte, die für mich nicht wirklich lösbar waren und mir deshalb in Erinnerung geblieben sind:

  1. Es handelt sich um einen ca. 70-jährigen Mann, der seit 4 Monaten in einer Klinik in Plau am See liegt. Er muss regelmäßig Dialyse erhalten und hat inzwischen schon einen starken Dekubitus. Eine Bekannte seines Sohnes, der in der Nähe von Pinneberg wohnt, also gut 200 km entfernt, ruft mich an und bittet um Hilfe. Der Sohn ist aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, den Vater zu besuchen. Deshalb hat die Klinik mehrfach versucht, den Vater näher am Wohnort des Sohnes unterzubringen. Das ist bis dato nicht gelungen. Die psychische Situation des Vaters ist unbekannt. Der Sohn jedenfalls ist ziemlich verzweifelt. Hier habe ich nicht weiterhelfen können.

  2. Der Patient ist 88 Jahre alt und leidet seit acht Jahren an Polyneuropathie. Zuletzt befand er sich für 3 Wochen in einer Klinik zur Behandlung, die jedoch keine Besserung erbrachte. Er kann fast nicht mehr laufen und sucht einen Physiotherapeuten, der Hausbesuche macht und ihn dort behandelt. Trotz intensiver telefonischer Versuche findet er keinen Physiotherapeuten, der dazu bereit wäre. Nach fünf vergeblichen Versuchen meinerseits bei seinem Hausarzt (in einem MVZ mit 12 Ärzten) mit der Bitte um Rückruf erklärt mir sein Hausarzt sehr freundlich, der Patient müsse eigentlich in eine betreute Einrichtung, er könne in seinem Fall nicht mehr helfen. Nur in einer stationären Einrichtung könne er die Betreuung erfahren, die der Patient brauche.

Nach 16 Tagen und 14 Gesprächen, davon vier mit dem Patienten und seiner Frau erklärt diese mir, eine stationäre Unterbringung komme für ihn nicht infrage. Er trainiere jetzt jeden Tag mit seinem Rollator im Keller.

Insgesamt lässt sich eine deutlich größere Zahl an Kontakten feststellen, wenn kein Lockdown verordnet ist. Insofern vermute ich, dass sich die Menge der Anrufe auch wieder „normalisieren“ wird. Ein großer Dank gilt an dieser Stelle auch in diesem Jahr den Mitarbeiterinnen und Herrn Bayer aus der Geschäftsstelle für die schnelle und kompetente Hilfe.

 

Veröffentlichung aus dem - Tätigkeitsbericht 2020 - (Seite 7-8) des Vereins.

 
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